BGH entscheidet erneut aber nicht abschließend zur Verjährungsfrage im VW-Abgasskandal
Seit dem Bekanntwerden des VW-Abgasskandals am 22. September 2015 sind bald 6 Jahre vergangen. Die Gerichte sind jedoch noch immer mit der Aufarbeitung des Abgasskandals beschäftigt. Seit geraumer Zeit wird nunmehr über die Frage der Verjährung von Schadensersatzansprüchen gestritten. VW erhebt mittlerweile flächendeckend die Verjährungseinrede mit der Begründung, dass der Abgasskandal seit Ende 2015 jedem in Deutschland hätte bekannt sein müssen und dass es betroffenen PKW-Besitzern zumutbar war, bis Ende 2018 Klage zu erheben. Wer also erst ab dem Jahr 2019 geklagt habe, käme zu spät. Die Ansprüche seien verjährt.
BGH entschied 2020 zur Verjährungsfrage
Erst Ende Dezember 2020 hatte sich der Bundesgerichtshof (BGH) erstmalig zur Verjährungsfrage im Abgasskandal äußern müssen (Aktenzeichen: BGH VI ZR 739/20). Die Besonderheit in dem Verfahren war jedoch:
Der Kläger wusste – was zwischen den Parteien unstreitig war – von der Betroffenheit seines PKW schon im Jahr 2015. Er hatte jedoch erst im Jahr 2019 Klage erhoben. Der BGH ging daher in Übereinstimmung mit der Argumentation von VW davon aus, dass die Ansprüche des dortigen Klägers Ende 2018 verjährt waren.
Ein Erfolg für VW, den die Wolfsburger in vielen anderen Verfahren, die nach 2018 eingeleitet wurden, ins Feld führten.
Gerichte müssen Feststellungen zur Verjährung treffen
Die Rechtsprechung zur Verjährungsfrage im Abgasskandal hat der BGH nun konkretisiert: Mit Urteil vom 29. Juli 2021 entschied der BGH (Aktenzeichen BGH VI ZR 1118/20), dass das jeweilige Tatgericht zur Verjährungsfrage Feststellungen treffen müsse. Denn wer sich auf die Einrede der Verjährung beruft, muss auch die Voraussetzungen der Verjährung berufen. Viele Instanzgerichte haben es jedoch versäumt, die Klägerinnen und Kläger zu ihrer Kenntnis vom Abgasskandal anzuhören.
In dem vorgenannten Revisionsverfahren hatten die Richter der Vorinstanz, dem OLG Naumburg, jedoch schlicht unterstellt, dass der dortige Kläger bereits 2015 Kenntnis vom Abgasskandal und der Betroffenheit seines PKW gehabt hätte. Er hätte somit vor Ende 2018 Klage erheben können und müssen. Da die Klage jedoch erst 2019 erhoben wurde und VW sich auf die Einrede der Verjährung berief, verlor der dortige Kläger in den beiden Vorinstanzen.
Dieser Feststellung trat der BGH entgegen. In der Pressemitteilung des BGH heißt es hierzu:
„Auf der Grundlage der bislang getroffenen Feststellungen lässt sich dem Kläger keine – den Beginn der dreijährigen Verjährungsfrist im Jahr 2015 auslösende – grob fahrlässige Unkenntnis von den den Anspruch begründenden Umständen i.S.d. § 199 Abs. 1 Nr. 2 Alt. 2 BGB vorwerfen. Das Berufungsgericht hat es versäumt festzustellen, ob der Kläger allgemein vom sogenannten Dieselskandal Kenntnis erlangt hatte. Eine solche Feststellung mag angesichts der umfangreichen Berichterstattung zwar naheliegen, ist aber Sache des Tatrichters.“
Einfach ausgedrückt: Das OLG Naumburg stellte nicht ordnungsgemäß fest, ob der Kläger tatsächlich im Jahr 2015 Kenntnis von seiner Betroffenheit im Abgasskandal hatte. Daher hob der BGH die Entscheidung des OLG Naumburg auf und verwies den Rechtsstreit dorthin zurück.
Verjährungshemmung durch Erhebung der Musterfeststellungsklage
Der BGH hat außerdem entschieden, dass die Erhebung der Musterfeststellungklage gegen VW im November 2018 durch den Verbraucherzentrale Bundesverband (vzbv) am OLG Braunschweig die Verjährung nach § 204 Abs. 1 Nr. 1a des Bürgerlichen Gesetzbuchs (BGB) hemmte. Entscheidend war also die rechtzeitige Erhebung der Musterfeststellungsklage. Selbst wenn der Kläger sich erst im Jahr 2019 zum Klageregister der Musterfeststellungsklage angemeldet haben sollte, stünde das der Verjährung seiner Ansprüche entgegen.
Restschadensersatzanspruch noch immer nicht höchstrichterlich geklärt
Bislang musste der BGH sich nur zur Frage der regelmäßigen Verjährung äußern. In den Instanzen wird jedoch heute noch immer heftig über die Frage des sog. Restschadensersatzanspruchs nach § 852 BGB gestritten. Dieser Schadensersatzanspruch verjährt 10 Jahre von seiner Entstehung an. D.h. selbst heute wären Klagen gegen VW noch möglich.
Wenden Sie sich gerne an uns. Wir prüfen und unterstützen Sie bei der Durchsetzung Ihrer Ansprüche gegen den VW-Konzern.
Erfahren Sie mehr unter www.abgasskandal-nrw.de